Entziehung von Minderjährigen: Analyse des Urteils des Kassationsgerichts, Abt. I, Beschluss Nr. 4792/2020

Das Urteil des Kassationsgerichts Nr. 4792 aus dem Jahr 2020 stellt einen wichtigen Präzedenzfall im Bereich der internationalen Entziehung von Minderjährigen dar. In diesem Fall hat das Gericht die Probleme im Zusammenhang mit der Rückführung eines Mädchens, S.E., von ihrem Wohnsitz in Italien nach Deutschland, dem Herkunfts- und gewöhnlichen Wohnsitz, geprüft und grundlegende Prinzipien zum Schutz der Rechte von Minderjährigen aufgestellt.

Der zu prüfende Fall

Die Beschwerde wurde von D.L.M.E., der Mutter des Mädchens, gegen die Entscheidung des Jugendgerichts von Florenz eingelegt, das dem Antrag des Vaters, S.H.V.B., auf Anordnung der Rückführung der Tochter nach Deutschland stattgegeben hatte. Das Gericht stellte fest, dass der gewöhnliche Wohnsitz des Mädchens in Deutschland zu identifizieren sei, wo sie geboren wurde und wo die emotionalen und sozialen Bindungen der Familie bestehen. Dies ist ein entscheidender Punkt, da die Definition des gewöhnlichen Wohnsitzes für die Rückführungsentscheidung gemäß Art. 12 des Haager Übereinkommens und der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 von entscheidender Bedeutung ist.

Die Begründungen des Gerichts

Das Urteil stellt klar, dass der gewöhnliche Wohnsitz eines Minderjährigen der Ort ist, an dem sich das Zentrum seiner emotionalen Bindungen befindet, und nicht nur der Ort des amtlichen Wohnsitzes.

Das Gericht bekräftigte, dass das Wohl des Kindes Vorrang haben muss und dass der Richter in Ermangelung von Beweisen für ein begründetes Risiko für das Mädchen im Falle einer Rückführung keine subjektive Bewertung der Lebensbedingungen in Deutschland anstellen kann. Darüber hinaus wurde hervorgehoben, dass die Einschreibung des Mädchens an einer italienischen Schule ihren Aufenthalt in Italien nicht rechtfertigte, da diese Situation das Ergebnis einer rechtswidrigen Entziehung war.

Relevante rechtliche Prinzipien

Das Urteil basiert auf konsolidierten Rechtsprinzipien, darunter:

  • Art. 12 des Haager Übereinkommens: Die Rückführung ist verpflichtend, wenn die Übertragung rechtswidrig erfolgt ist und weniger als ein Jahr seit der Übertragung vergangen ist.
  • Art. 13 desselben Übereinkommens: Der Richter kann die Rückführung nur im Falle begründeter Risiken für den Minderjährigen ablehnen.
  • Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003: Der Minderjährige muss angehört werden, wenn er ein angemessenes Alter und eine angemessene Reife erreicht hat.

In diesem Fall stellte das Gericht fest, dass das Mädchen im Falle einer Rückführung keinerlei psychisches oder körperliches Risiko aufwies, da der Vater in der Lage war, ihren Schutz zu gewährleisten. Darüber hinaus wurde die Notwendigkeit ausgeschlossen, einen besonderen Betreuer für das Mädchen zu benennen, da das Gesetz diese Figur in solchen Verfahren nicht vorsieht.

Schlussfolgerungen

Die Entscheidung des Kassationsgerichts Nr. 4792/2020 ist grundlegend, um zu klären, wie der gewöhnliche Wohnsitz eines Minderjährigen bestimmt werden muss und welche Rechte und Schutzmaßnahmen ihm im Falle einer internationalen Entziehung zustehen. Sie unterstreicht die Bedeutung einer objektiven und dokumentierten Bewertung der Lebensbedingungen des Minderjährigen und seiner Familie, wobei stets das Prinzip des Kindeswohls im Vordergrund stehen muss.