Analyse des Urteils Cass. pen., Sez. VI, n. 10905 vom 2023: Vorsätzliche Nichterfüllung von gerichtlichen Anordnungen

Das Urteil Nr. 10905 vom 14. März 2023 des Obersten Kassationsgerichts bietet wichtige Klarstellungen zu dem Straftatbestand des Art. 388, Abs. 2, StGB, der sich mit der vorsätzlichen Nichterfüllung von gerichtlichen Anordnungen im Bereich der Sorgerecht und des Besuchsrechts von Minderjährigen befasst. Diese Entscheidung ist von besonderer Bedeutung für Eltern, die an Scheidungs- und Sorgerechtsverfahren beteiligt sind, da sie die Grenzen der strafrechtlichen Verantwortung im Falle eines Verstoßes absteckt.

Der Fall: Verweigerung des Kontakts zwischen Eltern und Kindern

Im konkreten Fall war die Angeklagte A.A. verurteilt worden, weil sie dem Vater B.B. den Kontakt zur Tochter verweigert hatte und somit eine Anordnung des Zivilgerichts umgangen hatte. Das Berufungsgericht hatte entschieden, dass die bloße Verweigerung der Befolgung der gerichtlichen Anordnung den Straftatbestand des Art. 388, Abs. 2, StGB erfüllt. Die Kassation hat jedoch die Frage geprüft und festgestellt, dass das umgehende Verhalten ein quid pluris im Vergleich zur bloßen Nichterfüllung erfordert.

Das strafrechtlich relevante Verhalten wird nicht von einer einzigen und gelegentlichen Verletzung der Anordnungen bezüglich des Sorgerechts der Minderjährigen selbst erfüllt, sondern erfordert ein umgehendes Verhalten, das in einem erheblichen Zeitraum geeignet ist, die ordnungsgemäße Umsetzung der Regelung der Beziehungen des nicht sorgeberechtigten Elternteils mit dem Kind zu verhindern.

Unterscheidung zwischen Nichterfüllung und umgehendem Verhalten

Das Gericht hat bekräftigt, dass der Straftatbestand des Art. 388, Abs. 2, StGB nicht im Falle einer einfachen Nichterfüllung konfiguriert werden kann, sondern dass der sorgeberechtigte Elternteil betrügerische oder vorgetäuschte Verhaltensweisen an den Tag legen muss. Es ist entscheidend, dass die Verweigerung, die Besuche zwischen dem nicht sorgeberechtigten Elternteil und dem Kind zuzulassen, nicht gelegentlich ist, sondern vielmehr Teil eines systematischen Verhaltens, das darauf abzielt, die Besuche zu behindern.

  • Der Straftatbestand der Nichterfüllung wird nur durch Verhaltensweisen erfüllt, die das Besuchsrecht erheblich behindern.
  • Die einzelne Verletzung ist für sich genommen nicht ausreichend, um ein strafrechtlich relevantes Verhalten zu konfigurieren.
  • Umgehende Verhaltensweisen müssen systematisch und nicht sporadisch sein.

Fazit: Praktische Auswirkungen des Urteils

Das Urteil Nr. 10905 von 2023 stellt einen Fortschritt in der Rechtsprechung bezüglich der Rechte von Minderjährigen und der Verpflichtung zur Zusammenarbeit zwischen Eltern in Trennungssituationen dar. Es wird klargestellt, dass die strafrechtliche Verantwortung für die Nichterfüllung einer gerichtlichen Anordnung nicht automatisch angewendet werden darf, sondern den Kontext und die Art der Verhaltensweisen berücksichtigen muss. Diese Entscheidung bietet einen besseren Schutz für Eltern, die aus legitimen Gründen möglicherweise nicht in der Lage sind, die Bestimmungen über das Besuchsrecht pünktlich einzuhalten, ohne strafrechtliche Sanktionen zu riskieren.

Rechtsanwaltskanzlei Bianucci