Der Schutz der schwächsten Personen innerhalb der Familiengemeinschaft hat für unsere Rechtsordnung absolute Priorität. In diesem Zusammenhang ist das Verbrechen der Misshandlung in der Familie, das in Artikel 572 des Strafgesetzbuches geregelt ist, von besonderer Bedeutung, insbesondere wenn die schikanösen Verhaltensweisen in Anwesenheit von Minderjährigen auftreten. Der Oberste Kassationsgerichtshof hat mit dem kürzlich ergangenen Urteil Nr. 9802 vom 11. März 2025 eine grundlegende Auslegung zur Konfigurierbarkeit des erschwerenden Umstands der Tatbegehung "in Anwesenheit" eines Minderjährigen geliefert und damit einen entscheidenden Aspekt geklärt, der den Schutz von Kindern weiter stärkt.
Das Verbrechen der Misshandlung von Familienmitgliedern und Mitbewohnern bestraft jeden, der eine Person der Familie oder einen Mitbewohner misshandelt oder eine Person, die seiner Autorität untersteht oder ihm aus Gründen der Erziehung, Bildung, Pflege, Aufsicht oder Obhut oder aufgrund der Ausübung eines Berufs oder Handwerks anvertraut ist. Es handelt sich um ein Gewohnheitsverbrechen, das durch eine Vielzahl von schädigenden Handlungen, auch unterschiedlicher Art (physisch, psychisch, wirtschaftlich), vollendet wird, die ein Klima der Unterdrückung und des Leidens schaffen. Der zweite Absatz von Artikel 572 des Strafgesetzbuches sieht einen besonderen erschwerenden Umstand vor, wenn die Tat "in Anwesenheit oder zum Nachteil einer minderjährigen Person, einer schwangeren Frau oder einer behinderten Person" begangen wird. Dieser erschwerende Umstand spiegelt die größere Schwere des sozialen Unwerts der Handlung wider, angesichts der besonderen Verletzlichkeit der Opfer.
Die Auslegungsfrage, zu der sich der Oberste Gerichtshof geäußert hat, betraf genau die Bedeutung von "in Anwesenheit" eines Minderjährigen. War es notwendig, dass der Minderjährige die Gewalt physisch miterlebte? Oder reichte eine indirekte Wahrnehmung aus? Das Urteil Nr. 9802/2025, erlassen von der Dritten Strafkammer mit Berichterstatterin Dr. G. D., hat eine klare und unmissverständliche Antwort gegeben und die Berufung des Angeklagten M. P.M. E. gegen das Urteil des Berufungsgerichts Rom vom 13. Dezember 2023 zurückgewiesen.
Im Hinblick auf Misshandlungen gegen Familienmitglieder und Mitbewohner erfordert die Konfigurierbarkeit des erschwerenden Umstands der Tatbegehung "in Anwesenheit" eines Minderjährigen nicht, dass die schikanösen Verhaltensweisen von diesem gesehen werden, sondern es genügt, dass sie von ihm auch nur wahrgenommen werden. (Sachverhalt, bei dem ein Minderjähriger, der in einem Raum der Wohnung schlief, durch die Schreie des Opfers geweckt wurde und zu weinen begann).
Diese Leitsatz ist von grundlegender Bedeutung. Der Kassationsgerichtshof stellt fest, dass es nicht unerlässlich ist, dass der Minderjährige ein "Augenzeuge" der Gewalt ist. Es genügt, dass die schikanösen Verhaltensweisen von ihm "wahrgenommen" werden, auch wenn sie nicht direkt gesehen werden. Das in dem Sachverhalt angeführte Beispiel ist bezeichnend: ein Minderjähriger, der in einem anderen Zimmer schläft, aber durch die Schreie des Opfers geweckt wird und zu weinen beginnt. Dieses Szenario, auch wenn es keine direkte Sicht beinhaltet, erfüllt voll und ganz den erschwerenden Umstand. Das Gericht erkennt somit die tiefgreifenden psychologischen und traumatischen Auswirkungen an, die solche Ereignisse auf Kinder haben, auch wenn sie nicht physisch am Ort der Gewalt anwesend sind. Nicht die Sicht bestimmt das Trauma, sondern das Bewusstsein, auch nur auditiv oder emotional, dass etwas Ernstes und Beängstigendes geschieht.
Diese Entscheidung steht im Einklang mit einer gefestigten Rechtsprechung, die im Laufe der Zeit die Stellung des Minderjährigen als schutzbedürftiges Subjekt immer stärker gewürdigt hat, insbesondere im familiären Umfeld, wo er den größten Schutz und die größte Sicherheit finden sollte. Artikel 572 des Strafgesetzbuches dient dem Schutz der psychophysischen Integrität des Opfers und der Ruhe des familiären Umfelds, Werte, die durch die Anwesenheit von Gewalt, auch wenn sie nur wahrgenommen wird, durch einen Minderjährigen schwerwiegend beeinträchtigt werden.
Das Urteil Nr. 9802/2025 des Obersten Kassationsgerichtshofs stellt einen wichtigen Schritt nach vorn beim Schutz von Minderjährigen dar, die Opfer häuslicher Gewalt sind. Indem der Oberste Gerichtshof bekräftigt, dass die Wahrnehmung, und nicht nur die direkte Sicht, der schikanösen Verhaltensweisen ausreicht, um den erschwerenden Umstand der Tatbegehung "in Anwesenheit" eines Minderjährigen zu begründen, sendet er ein starkes Signal: Das Gesetz achtet auf das psychische Wohlbefinden von Kindern und bestraft mit größerer Härte diejenigen, die die Ruhe des häuslichen Herdes verletzen. Für eine Anwaltskanzlei ist es unerlässlich, diese Grundsätze zu verstehen und anzuwenden, um den Opfern einen wirksamen und sensiblen Schutz zu bieten und sicherzustellen, dass die Justiz die Komplexität und Schwere des Traumas berücksichtigt, das die Schutzlosesten erleiden.