Die Cartabia-Reform hat viele Institute des Strafverfahrens revolutioniert, darunter das Verfahren per Schriftsatz in der Berufungs- und Kassationsinstanz. Die jüngste Entscheidung Nr. 15245/2025 des Obersten Kassationsgerichtshofs, Sektion II, bietet die Gelegenheit, einen Überblick über eines der am meisten diskutierten Themen zu geben: die (fehlende) Verpflichtung der Kanzlei, den anderen Verfahrensparteien die schriftlichen Schlussanträge des Generalstaatsanwalts zu übermitteln.
Die Artikel 598-bis (Berufung) und 611 (Kassation) der Strafprozessordnung, die durch das Gesetzesdekret 150/2022 geändert wurden, regeln das Verfahren per Schriftsatz „mit schriftlicher Verhandlung“, das das während der Pandemie eingeführte Notstandsmodell ersetzt hat. Der Gesetzgeber verfolgte zwei Ziele: Beschleunigung und Rationalisierung der Akten, wodurch die formellen Belastungen für die Kanzlei reduziert wurden.
Daraus ergibt sich ein Regime, das die Pflicht zur Überwachung der elektronischen Akte und zur Anforderung von Kopien der Schriftsätze der Anklage auf den Anwalt verlagert.
Im durch die sogenannte „Cartabia-Reform“ geänderten Verfahren per Schriftsatz, dessen Regelung seit dem 1. Juli 2024 in Kraft ist, ist die Mitteilung der Schlussanträge der Staatsanwaltschaft an die anderen Parteien durch die Kanzlei, anders als im zuvor geltenden „Pandemie“-Verfahren per Schriftsatz vorgesehen, weder für das Berufungsverfahren gemäß Art. 598-bis StPO noch für das Kassationsverfahren gemäß Art. 611 StPO vorgesehen. Es wird ausschließlich festgelegt, dass die Anträge des Generalstaatsanwalts fünfzehn Tage vor der Verhandlung einzureichen sind und dass die Parteien neue Gründe, Schriftsätze und bis zu fünf Tage vor der Verhandlung Replikschriften einreichen können. Die Anträge der öffentlichen Partei stehen somit den anderen Parteien zur Verfügung, die bei der Kanzlei Kopien anfordern können, während etwaige Mitteilungen bezüglich der Einreichung als reine „Höflichkeit“ gelten und keine Verpflichtung mehr besteht.
Kommentar: Das Gericht bekräftigt, dass die Pflicht zur Erlangung der Schlussanträge des Generalstaatsanwalts nun bei den privaten Parteien liegt. Die gesetzgeberische Entscheidung bevorzugt den „auf Anfrage“ erfolgenden Zugang zu den Akten und hält die Frist für die Replik für ausreichend. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Verteidiger eine systematische Überwachung der Akte organisieren müssen, um Nachteile für das in den Artikeln 24 und 111 der Verfassung verankerte Recht auf Verteidigung zu vermeiden.
Die Entscheidung betrifft alle Akteure, die sich mit dem Verfahren per Schriftsatz befassen:
Das Kassationsgericht hat somit die Praxis orientiert, die Streitigkeiten über Nichtigkeit aufgrund unterlassener Mitteilungen reduziert und die während des Gesundheitsnotstands entstandene Rechtsprechung restriktiv vereinheitlicht (vgl. Cass. 20885/2021, 32812/2023).
Das Urteil Nr. 15245/2025 bestätigt die Linie der „Straffung“ der Cartabia-Reform: weniger formelle Erledigungen, größere Verantwortung der Parteien. Während dies einerseits die Dauer des Berufungsverfahrens beschleunigt, zwingt es andererseits die Verteidigung zu einem proaktiven Ansatz bei der Verwaltung der digitalen Akte. Letztendlich werden das Bewusstsein für die verfahrensrechtlichen Verpflichtungen und die Annahme guter organisatorischer Praktiken unerlässlich, um die Wirksamkeit des Widerspruchs zu gewährleisten.